Datenschutz in der Arztpraxis
Institutionellem Missbrauch vorbeugen

Für den Umgang mit personenbezogenen, sensiblen Daten in der Arztpraxis ist der Datenschutz unverzichtbar. Die fahrlässige Weitergabe oder nachlässige handhabung von Einzeldaten muss verhindert werden, um noch schwerwiegendere Folgen auszuschließen. Denn erst das Zusammenführen der Einzeldaten zu großen Datenmengen ermöglicht en systematisches auswerten, Abgleichen und eine Manipulation dieser Daten.
Kann ein Patient sicher sein, dass persönliche Informationen, die er seinem Arzt vertraulich offenbart hat nicht irgendwann, zum beispiel in Fragen von Renten, Beruf, Recht, Steuer, Strafrecht, Versicherungsrecht und Werbung erneut auftauchen und - von ihm nicht beeinflussbar - zu einer Entscheidungsgrundlage werden? Hier liegt das Risiko. Deshalb muss alles daran gesetz werden, dass vertrauliche Daten in der Arztpraxis auch vertraulich bleiben.
Die Vermutung, Behörden, Körperschaften des öffentlichen Rechts und privatrechtliche Unternehmen würden sich stets an alle datenschutzrechtlichen    Verfügungen halten, muss sich nicht immer bewahrheiten (zumahl es genügend Grauzonen und Neuentwicklungen gibt).

Auch im Hinblick auf die geplante "Krankenakte auf der chipkarte" ist abzuklären, ob diese nicht im Widerspruch zum Informellen Selbstbestimmungsrecht des patienten steht. Zwar kann es sinnvoll sein, notfallrelevante Denn, wie zum Beispiel Diabetes und Herzklappenprothesen, auf dieser Karte mit Blutgruppe und Impfstatus aufzunehmen. Es stellt sich aber die Frage, ob der im Notfall eintreffende Ersthelfer ein Lesegerät hat und dies auch richtig bedienen kann. in der Regel wäre hierfür ein internationaler Notfallpass in Schriftform geeigneter.

Ob eine komplette Krankenakte mt sämtliche diagnostische und therapeutischen Verästelungen gespeichert werden sollte, ist allerdings fragwürdig. Ein Beispiel: Eine Patientin , die als Jugendliche einmal in die Krankenhausambulanz gebracht und mit der Diagnose Alkoholintoxikation oder der Fehldiagnose Alkohldelir entlassen wurde, könnte dies für ihren weiteren Lebenslauf irrelevante und schädliche Diagnose möglicherweise ohne ihr Wissen in einer solchen Chipkarte tradieren.

Bisher verlasen in der Regel Patientendaten die Artpraxis ohne Kenntnis und Einverständnis
des Patienten nicht. Die Krankenkassen erhalten lediglich Diagnosen als Abrechnungsbegründung. Sie sind nach §§ 284 bis 287 Sozialgesetzbuch V verpflichtet, die Daten nichtt personenbezogen auszuwerten, es sei denn, es handelt sich um ein genehmigtes Forschungsvorhaben. Der Patient kann jederzeit durch Gespräch mit seinem  Arzt Einfluss auf den Informationsstatus nehme. Er kann auch durch Wechsel einen Schlussstrich unter seine bisherige Patientenkarriere ziehen. Dies alles
wäre bei umfänglich gespeicherten Daten auf der Chipkarte zu mindestens ohne hohen bürokratischen und/oder datenverarbeitungstechnischen Aufwand nicht möglich.

Die Chipkarte zur Übertragung "volatiler Daten", das heißt als Transfermittel zu verwenden, erscheint jedoch sinnvoll. Der Arzt speichert vorübergehend auf der Chipkarte die Überweisung, die spätestens am quartalsende wieder gelöscht wird. So wäre auch eine ausufernde Parallelinanspruchnahme ("Chipkartentourismus") einzugrenzen. Ähnliches ist beispielsweise hinsichtlich der hausärztlichen Betreuung und dem Direktzugang zu bestimmten Fachrichtung denkbar.

Bestrebungen, die Chipkarte gleichzeitig als Medikamentpass mit der Angabe der verordneten Medikamente zu verwenden, ist kritisch zu hinterfragen. Jede Verordnung sollte der Arzt stets sorgfältig prüfen. Jede Neuverordnung eines zusätzlichen Medikaments sollt die Überprüfung sämtlicher anderer Medikamente einschließen. Nur wenn zum Beispiel sowohl die (probeweise) Einführung als auch das Absetzen der Medikamente und das Speichern von ausgegeben Mustern einfach zu handhaben ist, wäre dies zu realisieren. Hierfür kann der Verwaltungsaufwand beträchtlich sein.

Eine erweiterte Chipkarte bietet vor allem auf sozialrechtlichen und verfahrentechnischen Gebiet Vorteile. Ob diese Chipkarte in großem Umfang medizinisch relevante Daten speichern sollte, ist sorgfältig abzuwägen. Schließlich bietet das erleichterte Einlesen relevanter Daten und Weiterverarbeiten in den zentralen Rechnern der Institutionen, wie zum Beispiel Krankenkassen, Krankenhäusern, Statistischen Ämtern und Versicherungen, ein hohes Missbrauchpotenzial.

Nicht die Frage, ob Frau Müller erfährt , dass Frau Meier Husten hat, ist die brisante Frage der Zukunft, sonder der private und institutionelle Missbrauch von Daten unter Zuhilfenahme der  Möglichkeiten der Datenverarbeitung.

Dr. W. Escher Oldenburg

Veröffentlicht in: Deutsches Ärzteblatt Praxis Computer 1/2003